Zu den ergiebigsten Quellen der
Recherche für meine Krimiserie aus der Weimarer Republik gehören zweifellos die
Tageszeitungen der jeweiligen Jahre. Dort finde ich eine Fülle von
Informationen, von tagesaktuellen Preisen für Brot und Hemden bis hin zum
Wetter, dazu jede Menge interessante Anekdoten. Und – vielleicht am Wichtigsten
– ich bekomme eine Vorstellung davon, worüber sich die Menschen an einem
bestimmten Tag Gedanken gemacht und unterhalten haben, weil ich aus den
Tageszeitungen gerade die Dinge erfahre, die nicht in Geschichtsbüchern stehen,
aber den Alltag der Menschen ausmachen: wie die neuen Verkehrszeichen aussehen
und wie man Autofahren lernt, Tipps zum Radioempfang oder zur Benutzung eines
öffentlichen Fernsprechers, dass der erste Radfahrweg auf Initiative des
„Vereins für Radfahrwege“ angelegt und das erste schalterlose Postamt
eingeführt wurde.
In Berlin gibt es das Zentrum für
Berlinstudien, wo ich mir nicht nur viele Zeitungen der Weimarer Republik auf
Mikrofilm ansehen, sondern seit etwa zwei Jahren sogar auf USB-Stick speichern
und mit nach Hause nehmen kann. So sieht das Monstrum von Maschine für die
Mikrofilme aus, links davon der Bildschirm des Computers, mit dem man einzelne
Seiten auf USB-Stick kopieren kann.
Die schlechte Nachricht: Das
Ganze ist nicht eben augenfreundlich. Der Text wurde damals in der ohnehin
schwer zu lesenden gotischen Frakturschrift gesetzt, die zudem aufgrund des
Alters der Zeitungen gelitten hat und abgerieben ist oder fehlende Teile aufweist,
dazu beim Abfotografieren nicht immer optimal belichtet wurde und dann auch
noch am Bildschirm negativ, also weiß auf schwarz erscheint. Mehr als zwei
Stunden darin zu lesen, ist eine echte Qual.
Für meinen aktuellen Roman, der
im Mai / Juni 1926 spielen soll, habe ich mir die Zeitungen ab Januar 1926
angesehen, zunächst die Berliner Morgenpost, die im Vergleich zu den anderen
bürgerlich-liberalen Zeitungen noch am besten zu lesen ist, später werde ich
mir dann auch noch die Vossische Zeitung und das Berliner Tageblatt ansehen
und, je nach Thema, eventuell auch radikalere Zeitungen mit parteipolitischer
Ausrichtung.
Neben wertvollen Informationen
stoße ich dabei immer auch auf Kuriosa: Auf Nachrichten
aus dem Stadtamt für Leibesübungen, zum Beispiel, oder einen erbaulichen
Artikel über einen Besuch in einer Dienerschule unter dem Titel Servietten-Falten auf 37 Arten.
Besonders amüsant sind die
Anzeigen: Da wird für Leitungsschoner
geworben (weiß, 1,25 Mark), für Dr. Thompsons
Seifenpulver und für Biomalz, das
eine frische Gesichtsfarbe bewirken soll. Es gibt ein Tafelgetränk namens Boa-Lie, erfahre ich, und eine Zigarettenmarke
namens Schatz. Zum Spracherwerb wird eine psychotechnische Methode angeboten und
zum Abnehmen ein Komplexroller, der
anscheinend das Fett wegmassieren soll. Man kann Garderoben auf Kredit zum Pfingstfest kaufen, und auf die Frage: Was trägt die Dame? ist die Antwort
klar: Ullsteins Schnittmusterkleid K 3008.
Reime als Werbemittel waren
damals schwer in Mode: Für wenig Geld aus
diesem Haus / kommt jeder elegant heraus, erklärt uns ein Modegeschäft. Und
Lux Seifenflocken zum Gardinenwaschen werden so angepriesen: Dein Fenster, das die Sonne fängt, / sei wie
mit Blütenschnee behängt.
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Gunnar