Manchmal wundere ich mich über
das, was im Lektorat der Konzernverlage so über Manuskripteinsendungen von sich
gegeben wird.
Das fängt mit der endlosen
Wartezeit auf Antwort an. Das Lektorat ist überlastet, weil täglich hundert
Manuskripte im Verlag eintrudeln? Tja, wenn ich bis nächste Woche mit der
Beantwortung warte, sind’s siebenhundert – Überraschung! Also tüte ich als
Lektor die Dinger entweder umgehend ein und schicke sie zurück oder, wenn ich
wirklich reingucken will, schaffe ich mir einmal die Woche oder meinetwegen
einmal im Monat einen Tag, an dem ich die Manuskripte durcharbeite. Wie auch
immer: Manuskripte ein halbes oder gar ein ganzes Jahr herumliegen zu lassen
und dies mit der Höhe der Einsendungen zu entschuldigen, ist Unfug und das
Ergebnis eines mangelnden Arbeitskonzepts.
Erstaunlich ist auch, dass uns
dieselben Menschen, die uns erzählen, dass sie unter Bergen von Manuskripten
ersticken, zugleich weismachen wollen, neunundneunzig Prozent davon seien
Schrott. Da muss ich mich doch fragen, weshalb die Bearbeitung dann so lange
dauert. Schrott erkenne ich auf der ersten Seite. Somit wären von hundert Manuskripten
neunundneunzig in Windeseile vom Tisch.
Was ich besonders liebe, ist das Gerede
von den „unverlangt eingesandten Manuskripten“. Ich versende keine „unverlangt
eingesandten Manuskripte“. Warum sollte ich meine Zeit und die der Lektoren
verplempern? Ich informiere mich über den Verlag, rufe dort an, stelle in
knappen zwei Sätzen freundlich mein Anliegen dar und akzeptiere, wenn mein Gegenüber
sagt, dass ihn das nicht interessiert. In dem Moment allerdings, in dem er
sagt: „Schicken Sie’s mal her“, ist es kein unverlangt eingesandtes Manuskript
mehr. Und ich finde es eine Frechheit, wenn die betreffende Person ihren Teil
der Verantwortung daran leugnet, sich fürderhin nicht mehr meldet und das Werk
nicht in angemessener Frist bearbeitet oder gar Porto fürs Zurücksenden verlangt.
Ich habe schon an Podiumsdiskussionen
mit Lektorinnen teilgenommen, die mit ausgesuchter Arroganz über die Möchtegern-Autoren
herziehen, die ihnen täglich mit Unverdaulichem und nicht ins Programm
Passendem den Tisch zumüllen oder am Telefon unverschämt sind. Ja, und? Ich
habe in meinem Leben schon mit ätzenden Verlagsleuten zu tun gehabt und käme
trotzdem nicht auf die Idee, meine Frustration an Unschuldigen abzureagieren.
Sippenhaft ist abgeschafft. Und jeder neue Kontakt bedeutet eine neue Chance.
Wäre schön, wenn sich das auch in den Lektoraten herumspricht.
Die Buchbranche ist im Umbruch,
E-Books werden in Massen geklaut, viele Autoren gehen zum Selfpublishing über,
hin und wieder sogar mit Erfolg – und immer noch verhalten sich nicht wenige Lektoren
gegenüber denen, von deren Arbeit sie leben, als seien sie Götter. Haben die
gar keine Angst, dass die guten Autoren sich das nicht länger gefallen lassen
und auf Dauer wegbleiben? Liebe Verlage, angesichts der Möglichkeiten der
Selbstvermarktung, die wir mittlerweile haben – wäre es da nicht an der Zeit,
mal die eigene Gutsherrenmentalität zu hinterfragen? Von einer Begegnung
zwischen Verlagen und Autoren auf Augenhöhe sind wir nach wie vor meilenweit
entfernt.
Es gibt kein Recht darauf,
gedruckt zu werden. Aber es gibt ein Recht darauf, menschenwürdig behandelt zu
werden. Dieses Recht muss ich mir auch nicht verdienen, es steht mir per Geburt
zu. Sogar wenn ich ein durchgeknallter, sich selbst überschätzender Bewerber
bei DSDS wäre.
(Übrigens ist Arroganz auch kein
Erfolgsrezept für Buchhändler. Die neulich gehörte süffisante Bemerkung: „Ihr
Name ist mir bisher noch nicht untergekommen – woran liegt das?“ hätte ich,
wenn ich fix gewesen wäre, eigentlich beantworten müssen mit: „Vermutlich, weil
Sie Ihre Hausaufgaben nicht gemacht und die 80.000 Neuerscheinungen des letzten
Jahres nicht ordentlich durchgelesen haben.“ Der Glaube, was jemand nicht
kennt, könne auch nicht von Wert sein, verrät genau die Hybris, an der der
ganze Literaturbetrieb krankt.)
Ein Wort noch zu der immer wieder
gehörten Forderung, Autoren sollten sich erst mal mit dem Programm eines
Verlages beschäftigen, ehe sie ein Manuskript einreichen: Meine Aufgabe ist es,
ein gutes Buch zu schreiben, nicht, den Markt besser zu kennen als die
Verlagsbranche. Ein Nischenverlag hat möglicherweise ein erkennbares Programm,
ein Publikumsverlag kaum. Wichtiger noch: Alles, was ich als Autor erfahre,
wenn ich mir die Internetpräsenz eines Verlages oder dessen Bücher in der
Buchhandlung anschaue, ist seine Programmplanung von vor zwei Jahren. Es ist mir
nicht nur einmal passiert, dass ich zu hören bekam: „Wären Sie vor zwei Jahren
gekommen, da haben wir so etwas wie Ihr Manuskript gesucht. Aber jetzt
entwickeln wir uns in eine andere Richtung.“
Die logische Schlussfolgerung
daraus ist keineswegs, von nun an kleinlaut daherzukommen und zu fragen, ob
denn bitte vielleicht unter Umständen das eigene Manuskript noch ins Programm
passe. Die logische Schlussfolgerung ist vielmehr: Wenn es Verlage gibt, die
sich von mir wegbewegen, muss es auch welche geben, die sich auf mich
zubewegen. Also suche ich antizyklisch. Verlage, die noch nicht haben, was ich
mache, bei denen ich es mir aber vorstellen könnte. Genau so habe ich meinen
ersten Verlag gefunden. Angerufen und gesagt: „Ich weiß, Sie haben zurzeit noch
keine Romane im Programm, aber ...“ Und ihnen dann Argumente geliefert, weshalb
mein Manuskript meiner Ansicht nach eine gute Erweiterung Ihrer Palette wäre. Wie
es der Zufall wollte, haben sie damals gerade über eine Erweiterung
nachgedacht.
Wenn Verlage auf ihrer Website
schreiben, dass sie keine neuen Manuskripte mehr annehmen, ist das zwar
bedauerlich, aber wenigstens ehrlich. Die Erwartung, Autoren sollten nach neuen
Wegen suchen, um auf ihre Werke aufmerksam zu machen, also gewissermaßen den
Entertainer geben und Lektoren bespaßen, ist dagegen an Überheblichkeit nicht
mehr zu überbieten. Und die gebetsmühlenartig wiederholte Behauptung, mit unverlangt
eingesandten Manuskripten habe man ohnehin keine Chance, ist Unsinn. Wie denn
sonst? Mit Vitamin B? Indem ich abends mit dem Verleger einen saufen gehe? Wenn
ich neu in einem Geschäft bin, muss ich Klinken putzen, anbieten, anbieten,
anbieten und mich hocharbeiten. Das ist mühsam, das ist frustrierend, aber im
Prinzip der einzige Weg. Übrigens auch, wenn ich mir einen Literaturagenten
suche: Dann verschiebe ich das Klinkenputzen nur um eine Position nach hinten.
Ein Agent hat mir mal ein Bonmot
von Michael Ende erzählt (Keine Ahnung, ob es wahr ist, aber ganz sicher ist es
wahrhaftig): „Erfolg ist eine Portofrage.“
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Gunnar